9. Bildertheater

Überblick

Das Bildertheater wird häufig eingesetzt, um Konflikte zu bewältigen und kreative Kräfte freizusetzen. Es nutzt die Technik des Theaters der Unterdrückten und fördert durch Spiele und Übungen den Dialog über sensible Themen in einer Gemeinschaft. Das Bildertheater nutzt drei wichtige Aspekte: Körper, Stimme und Bewegung, so dass auch Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, teilnehmen und ihr Innerstes erforschen können.

Wir alle nutzen in unserem Alltag die gleiche Sprache wie Schauspieler:innen auf der Bühne: unsere Stimme, unseren Körper und unseren Ausdruck. Augusto Boal formuliert dies in seinem Buch über das Theater der Unterdrückten wohlwollend: „Ich glaube, dass all diese revolutionären Theatergruppen die Produktionsmittel im Theater dem Publikum überlassen sollten, damit die Menschen selbst sie nutzen können. Theater ist eine Waffe, die von Menschen eingesetzt werden sollte.“ (Boal, 1993)

Ziele

  • Selbstfindung der Teilnehmenden
  • Transformation der Teilnehmenden
  • Entwicklung eines Bewusstseins für unterdrückte Ideen
  • Spielen / Schauspielern
  • Förderung des Bewusstseins für Friedensbildung und gegenseitiges Verständnis
  • Fördern von Mitgefühl – sich in andere hineinversetzen
  • Einen geschützten Raum schaffen und junge Menschen ermutigen, eine bessere Zukunft für alle zu gestalten
  • Inspiration

Schlüsselbegriffe

  • Kunst
  • Mitgefühl
  • Gerechtigkeit
  • Aktivismus
  • Wandel
  • Freiheit

Teilnehmendenzahl

15 bis 20 Personen

Zielgruppe

  • Pädagogisches Personal in Schulen
  • Peace-Builder:innen
  • Community-Worker:innen
  • Theaterfachkräfte
  • Schüler:innen und Studierende ab 15 Jahren

Dauer

mindestens 150 Minuten

Material / Vorbereitung

  • Stühle (fakultativ)
  • Papier
  • Stifte

Ablauf

Erster Schritt (10 bis 15 Minuten): Warm-up

Wenn sich die Teilnehmenden zum ersten Mal treffen, sollte Zeit für Teambuilding eingeplant werden.

Teamer:innen können in den ersten Sitzungen Aufwärmübungen wie „Name Game“ oder „Gegenseitiges Kennenlernen“ nutzen. Das Name Game funktioniert so, dass jeder nacheinander seinen Namen sagt und danach eine Bewegung macht. Jeder im Kreis wiederholt diese oder übertreibt sie sogar etwas. Das ist eine vergnügliche Aktivität für den Einstieg.

Wenn sich die Teilnehmenden bereits kennen, können Spiele wie „Zib-Zab- Boing“, das „Spiegelspiel“ usw. oder die „kolumbianische Hypnose“ eingesetzt werden (Einzelheiten im Buch „Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht- Schauspieler von Augusto Boal, Routledge, 1992. https://www.deepfun.com/wp-content/
uploads/2010/06/Games-for-actors-and-
non-actors…Augusto-Boal.pdf). Während des Spiegelspiels kann auch Musik gespielt werden, um für Entspannung bei den Teilnehmenden zu sorgen und ihnen Tipps für ein besseres Miteinander zu geben.

Das Spiegelspiel

Zweiter Schritt (120 Minuten): Er umfasst zwei Hauptaktivitäten – Bildertheater und Dynamisierung

  • Der/die Teamer:in erklärt der Gruppe das Konzept des Bildertheaters und nennt Beispiele für Unterdrückung in der Gesellschaft.
  • Bildertheater: Die Teilnehmenden bilden einen Kreis und stehen mit dem Rücken zueinander. Der/die Teamer:in nennt einen Begriff oder einen Satz wie „Liebe“, „Frieden“, „Mutter“ oder „Vater“. Die Teilnehmenden denken einzeln darüber nach, wie sie dieses Wort mit ihrem Körper darstellen. Sie zählen bis fünf, dann drehen sich alle um und zeigen gleichzeitig ihre Darstellung des Wortes. Der/die Teamer:in wiederholt das Wort mehrmals und fordert die Teilnehmenden auf, eigene Begriffe darzustellen.

Die Aktivität kann auf eine Überlegung in der ganzen Gruppe ausgedehnt werden. Dabei stehen die Teilnehmenden im Kreis und eine freiwillige Person nimmt eine bestimmte Pose ein. Es kann eine Weile dauern, wenn die Teilnehmenden nach- einander über eine Pose nachdenken und diese dann einnehmen. Nacheinander bilden sie in der Gruppe ein gemeinsames Bild.

  • Dynamisierung: Nachdem alle Bilder gezeigt wurden, können sie dynamisch dargestellt werden. Dies geschieht auf drei Ebenen (Bewegung, Ton und Aktion) und kann entweder Bild für Bild oder Teilgruppe für Teilgruppe erfolgen. (Babbage, Francis, Augusto
    Boal, Biographies – Routledge performance practitioners, Routledge, New York, 2004).

Zunächst werden die Teilnehmenden in Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe wählt eine Art von Unterdrückung aus und diskutiert darüber. Ziel ist es, ein Bild zu malen und daraus eine Geschichte zu erzählen und mit Leben zu füllen. Dazu wird die Gruppe vom/von der Teamer:in aufgefordert, ihr Bild mit Leben zu füllen und dabei folgende Frage zu beantworten: „Wenn euer Bild eine Bewegung machen könnte, welche wäre das?“ Die Teilnehmenden führen dann verschiedene Bewegungen mit ihrem Körper aus. „Was würde euer Bild sagen, wenn es sprechen könnte?“ oder „Wie würde euer Bild klingen, wenn es eine Stimme hätte?“

Als Nächstes entwirft jede Gruppe eine kurze Szene, um die Unterdrückung, über die sie diskutiert hat, darzustellen. Dies kann auf Grundlage des ursprünglichen Bildes der Teilnehmenden geschehen, das nur durch Bewegung, Worte oder Töne ergänzt wird, um seine Bedeutung für das Publikum zu verdeutlichen. Das Bild kann aber auch auf eine ganz andere Art und Weise dargestellt werden.

Die Gruppen können ihre Szenen benennen, Teile oder Orte der Unterdrückung festlegen und sie den anderen einzeln vorstellen. Die anderen Gruppen fungieren als Publikum und können in die dargestellten Szenen einbezogen werden. Der/die Teamer:in sollte das klarstellen. Er/sie kann auch stehende durch sitzende Personen ersetzen, um ihnen eine Vorstellung davon zu geben, wie es ist, in der Haut eines anderen zu stecken.

Dritter Schritt (10 bis 15 Minuten): Nachbereitung und Abschlussaktivität

Das entstandene Bild wird noch einmal in der ganzen Gruppe präsentiert. Gefühle und Emotionen werden diskutiert. Als Abschlussaktivität kann eine Geschichte erzählt werden: Alle Teilnehmenden setzen sich hin und beenden die Geschichte mit einem Wort, das sie mit nach Hause nehmen.

Tipps für die Durchführung

  • Die Standardsitzordnung für jede Aktivität ist der Kreis. Die Teamer:innen sollten sicherstellen, dass der Kreis nicht zum U oder unterbrochen wird.
  • Die Teamer:innen sollten auf der gleichen Ebene wie die Teilnehmenden oder unterhalb von ihnen sitzen/stehen. Vorzugsweise sollten alle auf dem Boden sitzen.
  • Wenn Teilnehmende mit Behinderungen nicht auf dem Boden sitzen können, sollten die Teamer:innen dem Rechnung tragen und sie auffordern, sich so bequem wie möglich hinzusetzen. In diesem Fall können alle auf Stühlen sitzen.

Hintergrund

Diese Theaterform wird, wie bereits erwähnt, dem brasilianischen Aktivisten und Theaterexperten Augusto Boal zugeschrieben. Beeinflusst durch die Arbeit von Paulo Freire wollte er eine Form des Theaters schaffen, in der die Menschen selbst aktiv werden und die Realität, in der sie leben, erforschen, aufzeigen, analysieren und verändern.

In seinem gefeierten Buch ‘Theater der Unterdrückten’ aus dem Jahr 1979 erläutert Boal, welche Philosophie für ihn hinter dieser Form von Theater steht. Seine Argumentation beruht auf der aristotelischen Form der Unterdrückung, die das Theater in Aristokrat:innen (die Hauptdarsteller:innen auf der Bühne) und Massen (der Chor) teilt. Nach Ansicht von Boal macht das Bürgertum diese Schauspieler:innen zu Heldenfiguren und neuen Aristokrat:innen, während die Kluft zwischen ihnen und dem übrigen Volk größer wird. Es folgt das epische Theater nach Brecht, das die Darsteller:innen auf der Bühne nicht als Subjekte, sondern als Objekte der auf sie einwirkenden sozialen Kräfte sah. Das Theater der Unterdrückten schließt nach Boal den Kreis, indem es das Publikum aus seiner passiven Rolle befreit und zu Akteur:innen macht.

Das Buch behandelt auch das Bildertheater und das Zeitungstheater als Mittel, um dem Publikum lokale Probleme zu präsentieren. Es erklärt die Experimente des Forumtheaters und des unsichtbaren Theaters (wo das Theater an öffentlichen Orten aufgeführt wird, ohne dass das Publikum davon weiß).