Jasenovac – 16. Oktober 2023

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Jasenovac: Vom Vernichtungslager zur Gedenkstätte – ein Ort der Erinnerung und der Mahnung
Von Wien führte uns die Reise ins kroatische Zagreb und dann nach Bosnien und Herzegowina, genauer gesagt nach Sarajevo. Angesichts des Reisethemas und Zeitpunktes besuchten wir die Gedenkstätte Jasenovac, wo sich im Zweiten Weltkrieg ein Konzentrationslager befand. Jasenovac ist von historischer Bedeutung als einer der Orte, an denen der Holocaust vollzogen wurde, aber auch ein Völkermord an Serb:innen und Rom:nija sowie weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden. Dennoch ist der Ort weit weniger bekannt als andere Konzentrationslager.
Die knapp zweistündige Reise von Zagreb nach Jasenovac war landschaftlich und witterungsbedingt abwechslungsreich. Bei der Ankunft in Jasenovac herrschte eine Atmosphäre des Friedens und der Stille. Sie drückte die tragische Geschichte dieses Ortes aus, an dem die Opfer des Holocaust, des Völkermordes und anderer Verbrechen ihre letzte Ruhestätte fanden. Jasenovac in der Landkreis Sisak-Moslavina war in den 1990er Jahren stark von Abwanderung aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage infolge der Jugoslawienkriege 1991-1995 betroffen. Die Bevölkerungsstruktur in der Region hat sich sehr verändert. Heute leben dort vorwiegend ältere Menschen, viele junge Menschen haben die Region verlassen. Diese Entwicklung wurde durch das Erdbeben von 2020 zusätzlich verschärft. Laut der Volkszählung von 2021 ist die Bevölkerung von Jasenovac auf 525 Einwohner:innen stark zurückgegangen, wobei die Mehrheit Kroat:innen (93 %) und eine serbische Minderheit (etwa 5 %) sind. Insgesamt haben die historischen Konflikte und die jüngsten Naturkatastrophen der Region schwer zugesetzt und sind einer der Gründe für den Bevölkerungsrückgang.

Konzentrationslager Jasenovac
Zusammen mit der Kuratorin Martina Barešić verbrachte unsere Gruppe viel Zeit auf dem Museumsgelände und konnte mehr über die tragische Geschichte von Jasenovac erfahren. Als größtes Vernichtungslager, das nicht von den Deutschen, sondern vom Ustascha-Regime des Unabhängigen Staates Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska oder NDH) betrieben wurde, spielte es im Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung der Rassengesetze gegen Jüdinnen und Juden, Rom:nija und alle, die als Feind:innen galten. Das 1941 errichtete Lager war eine Kopie der nationalsozialistischen Lager und wurde zu einem Symbol für Verfolgung. Das Lager stand unter der Aufsicht des Ustascha-Innenministeriums unter Leitung von Andrija Artuković und wurde nie offiziell geschlossen. Am 22. April 1945 kam es zu einem Ausbruchsversuch, bei dem die meisten Gefangenen getötet wurden. Dieser Fluchtversuch zeugte von bemerkenswertem Mut. Anschließend versuchte das Ustascha-Regime, die Verbrechen zu vertuschen: Die Leichen wurden verbrannt, die Gebäude abgerissen und Unterlagen vernichtet.
In der Gedenkstätte in Jasenovac wurde eine Liste der Opfer erstellt mit individuellen Informationen über alle Kinder, Männer und Frauen, die in Jasenovac ums Leben kamen. Diese Informationen wurden verglichen und kritisch geprüft. Bis heute liegen Namen und Auskünfte zu 83.145 Opfern vor. Diese Zahl wird auch genannt, wenn von den Opfern des Lagers die Rede ist. Es waren vor allem Serb:innen, Rom:nija, Jüdinnen und Juden, Kroat:innen und Menschen muslimischen Glaubens jeden Alters.
Beseitigung des Lagers und Errichtung der Gedenkstätte
In Jasenovac wurden sämtliche Überreste des nationalsozialistischen Lagers bewusst beseitigt; das Gelände lag jahrelang brach. Für den Wiederaufbau der umliegenden Dörfer wurde angeblich Material aus dem Lager verwendet. Nachdem das Gelände 15 Jahre lang ungenutzt geblieben war, setzte sich 1959 eine Initiative des örtlichen Vereins SUBNOR Novska für das Gedenken an den Ort und seine Geschichte ein.

Foto der Gedenktafel, Gedenkstätte Jasenovac, Kroatien.
Eine Blume als Symbol für Leben und Freiheit
Die Teilnehmenden interessierten sich sehr für die Steinerne Blume und ihre Bedeutung. Es handelt sich um das beeindruckendste Symbol der Gedenkstätte und dient als „Zeichen der ewigen Erneuerung“. Nach den Worten ihres Schöpfers Bogdan Bogdanović ist es „ein Überbau, der in zwei Richtungen zeigt: mit einer den Opfern zugewandten Krypta, in denen seine Wurzeln verankert sind, und eine Krone in Form einer umgekehrten Kuppel, die dem Licht und der Sonne zugewandt ist und symbolisch auf das Leben und die Freiheit verweist“. Bogdanović verstand das Denkmal als Zeichen der Versöhnung und des Endes eines generationenübergreifenden Hasses und nicht als Symbol für den Horror, der hier stattgefunden hatte. Das Denkmal markiert gleichzeitig einen Wendepunkt in der jugoslawischen Kunst und steht für die Akzeptanz der Moderne in Bildhauerei und Architektur.
Nach einem Rundgang durch die Außenanlagen des Lagers besuchte die Gruppe das Museum. Wir konnten die Ausstellung von 2006 mit den Namen der Opfer sehen: Sie stehen auf von der Decke hängenden Glasplatten und an den Wänden. Es ist unmöglich, sie NICHT zu sehen oder sie zu umgehen. Sie begleiten die Besucher:innen ständig. Kuratorin Martina Barešić bat die Gruppe, sich hinter den Namen der Opfer Menschen mit Familien, Wünschen, Berufen und Hobbys vorzustellen, damit uns diejenigen, deren Namen Zeugnis über die begangenen Verbrechen ablegen, die Geschichte von Jasenovac näher bringen. Neben den Namen der Opfer konnten die Teilnehmenden auch mündliche Berichte hören und die persönliche Habe der Gefangenen sehen, aber auch einige der Instrumente, mit denen sie gefoltert und umgebracht wurden.
Laut Kuratorin Martina Barešić entwickelt sich die Arbeit der Gedenkstätte Jasenovac aktuell in mehrere Richtungen: vom Sammeln von Informationen und Forschung, professioneller Analyse, Schutz und Präsentation von Museumsmaterial und -dokumentation über den Erhalt des Ustascha-Konzentrationslagers bis hin zu Bildungs- und Lehrprogrammen, Ausstellungen und Veröffentlichungen. Auch Kooperationen mit überlebenden Gefangenen und die Organisation von Gedenkveranstaltungen zu Ehren der Opfer von Jasenovac sind geplant.
In 2 Stunden konnten die Teilnehmenden nicht alles über Jasenovac und seine Geschichte erfahren. Den meisten Teilnehmenden unserer Jugendbegegnung war das Lager nicht bekannt. Nach dem Besuch der Gedenkstätte war die Gruppe von ihren Emotionen und Reaktionen überwältigt. Wir tauschten uns erst am nächsten Tag darüber aus. Das hat uns gezeigt, dass Jasenovac ebenso wie andere Lager im ehemaligem Jugoslawien ein wichtiger Teil der europäischen Erinnerungskultur und des Gedenkens sind, über die mehr gesprochen und gelernt werden sollte.
Autorin: Milica Pralica