Vorwort

Dr. Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)
Anne Tallineau und Tobias Bütow, Generalsekretärin und Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW)

Wie alles begann

Fünf Länder, über 2.000 Reisekilometer und zwei Jahrhunderte mit zahlreichen Kriegen in Europa: Das sind die Schwerpunkte von „Krieg(e) in Europa. Geteilte Erfahrung, Gemeinsame Erinnerung? – Deutschland, Frankreich, Bosnien-Herzegowina”, des ersten Gemeinschaftsprojekts der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW).

Im Herbst 2021 starteten das DFJW und die Stiftung EVZ ihre Kooperation gemeinsam mit Teamer:innen und Fachkräften aus den Bereichen Geschichte, politische Bildung und internationale Jugendbildung, um ein gemeinsames Projekt über die Multiperspektivität europäischer Erinnerungskulturen zu entwickeln. Als es darum ging, was für ein Projekt es sein sollte, legten wir gemeinsam die Vorbedingungen fest. Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war klar, dass das Thema Krieg und der Umgang damit im Kontext internationaler Bildung im Mittelpunkt unseres Projektes stehen sollte. Um das Thema auf europäischer Ebene zu behandeln, dachten wir an ein trilaterales Projekt. Alle Beteiligten waren sich schnell einig, dass das dritte Land neben Deutschland und Frankreich aus dem Westbalkan kommen sollte. Die Wahl fiel aufgrund seiner Geschichte auf Bosnien und Herzegowina. Außerdem sollte das Projekt nachhaltig sein, damit die Methoden auch von anderen Fachkräften genutzt werden können.

Der erste Schritt des Projektes war ein trilaterales Seminar für Fachkräfte aus Deutschland, Frankreich und Bosnien und Herzegowina im Mai 2023 in Lyon. Ziel war die Ausarbeitung von Methoden für einen trilateralen Jugendaustausch mit dem Schwerpunktthema Krieg. Alle Methoden wurden bei der trilateralen Jugendbegegnung getestet. Sie war das Herzstück unseres Projektes im Oktober 2023. Es handelte sich um eine Reise, die uns nicht nur von Paris über München, Wien und Zagreb nach Sarajevo führte, sondern auch von den Erfahrungen aus und Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg über den Zweiten Weltkrieg und den Bosnienkrieg bis hin zum aktuellen Krieg in der Ukraine. Im Anschluss an diese Begegnung evaluierten die Fachkräfte ihre Methoden bei mehreren Online-Workshops und Treffen und passten sie an. Das Ergebnis ist diese Toolbox.

Danksagungen

In den letzten zweieinhalb Jahren haben sich zahlreiche Kolleg:innen, Fachleute und Teamer:innen in das Projekt eingebracht und es mit ihren Beiträgen und ihrem Fachwissen unterstützt. Wir danken ihnen allen für den Einsatz! Unser besonderer Dank gilt allen Teilnehmenden, die uns auf der Reise durch Europa und durch seine Erinnerungslandschaft begleitet haben.

Über diese Veröffentlichung

Ob als zentrales Thema oder in Verbindung mit aktuellen Ereignissen: Das Thema Krieg spielt in internationalen Jugendbegegnungen eine wichtige Rolle. Mit dieser Publikation wollen wir eine Hilfestellung anbieten, wie in diesem Kontext über Krieg gesprochen werden kann. Zu den Schlüsselfragen gehört, wie im internationalen Jugendaustausch vergangene und aktuelle Kriege und deren Folgen für die Geschichte und die Identität der Teilnehmenden umgegangen wird.

Die Methoden in diesem Handbuch haben Fachkräfte in einem Fachkräfteaustausch entwickelt und bei einer Jugendbegegnung in 5 Städten getestet, die für prägende militärische Auseinandersetzungen im Europa des 20. Jahrhunderts stehen: Paris, München, Wien, Zagreb und Sarajevo. Junge Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren aus Deutschland, Frankreich und Bosnien und Herzegowina nahmen an dieser Begegnung teil. Sie testeten die Methoden und lernten mehr über die Folgen von Kriegen. Anstelle der reinen Wissensvermittlung bieten diese Methoden Möglichkeiten für einen Umgang mit dem Thema „Krieg“ in einem Jugendaustausch.

Die Publikation richtet sich in erster Linie an Jugendarbeiter:innen, Lehrkräfte, Vereine und Organisationen in Deutschland, Frankreich und darüber hinaus. Sie eignet sich für alle, die sich aus aktuellem Anlass oder aufgrund der persönlichen Geschichte der Teilnehmenden mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Sie dient als Leitfaden für die Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg im Rahmen von interkulturellen Austauschprogrammen.

Die Toolbox enthält unterschiedliche Methoden zur Begleitung eines Jugendaustausches oder zur Wahl einer Aktivität in Bezug auf das gewünschte Ziel: kooperative Aktivitäten, Gruppendynamik, Sprachaktivitäten, körperlicher Ausdruck, Treffen mit Zeitzeug:innen und geführte Besichtigungen.

Überlegungen mit Blick auf die Teilnehmenden: Es ist empfehlenswert, wenn auch nicht zwingend erforderlich, dass die Teilnehmenden an der Jugendbegegnung ein Interesse an und Grundkenntnisse über Geschichte und Erinnerung an ihre nationalen Kriegserfahrungen mitbringen. Dies ist wichtig, weil gerade jüngere Kriege und Aufenthalte an historischen Orten oder die Anwendung bestimmter Diskussionsmethoden Auslöser für starke Emotionen sein können. Persönliche Erfahrungen können so während der Begegnung ganz unerwartet thematisiert und Bezüge zur Geschichte hergestellt werden. Die Teamer:innen sollten sich deshalb der Sensibilität des Themas bewusst sein und entsprechend darauf eingehen.

Projektdokumentation

Dieses Handbuch enthält neben wertvollen Methoden auch eine Dokumentation über die Entstehung des Projektes – vom Fachkräfteaustausch in Lyon im Mai 2023 bis zur gemeinsamen Ausarbeitung. Die Methoden, die Fachkräfte der formaler und non-formaler Bildung aus den 3 Ländern mit Erfahrung in (internationaler) Jugendarbeit entwickelt haben, loten unterschiedliche Erfahrungen mit Krieg und Konflikt sowie die europäische Erinnerungskultur aus.

Die Publikation enthält auch Berichte über die Reise von Paris nach Sarajevo und beschreibt die Reaktionen und Lernprozesse der Teilnehmenden sowie die Wirkung, die die verschiedenen Orte auf sie hatten.

Dieses Handbuch ist somit nicht nur ein umfassender Leitfaden für die Jugendarbeit, sondern enthält auch die Geschichte einer transformativen Reise junger Menschen. Es belegt die Wirksamkeit der vorgestellten Methoden in realitätsnahen Szenarien und ist eine Einladung an die Leser:innen, diese Ideen in ihre eigene Jugendarbeit zu integrieren.

Methoden

Neun Methoden haben das Thema Krieg im 20. und 21. Jahrhundert in einer Reise durch Zeit und Raum behandelt. Angefangen haben wir mit Kommunikationsübungen zwischen den internationalen Teilnehmenden während der 10-tägigen Reise. Eine effektive Kommunikation ist bei internationalen Jugendbegegnungen für das gegenseitige Verständnis und Kooperation unerlässlich. Die Methoden haben die Fachkräfte getestet, darunter „Das ideale Haus“ und „Das Dilemma mit den Stühlen“.

Jede Stadt hatte ihr eigenes Thema: Vom Ersten Weltkrieg in Versailles und Paris zur Geschichte Münchens in Verbindung mit dem Aufstieg der Nazis. Beim Zwischenstopp in Wien erkundeten wir historische Orte, die mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung stehen. Danach führte uns die Reise von West nach Ost nach Kroatien und Bosnien und Herzegowina. In jeder Stadt haben wir spezifische Methoden angewandt. In Paris lag der Fokus auf dem Ersten Weltkrieg. In München beschäftigten wir uns mit dem Zweiten Weltkrieg, teilweise individuell und teilweise gemeinsam. Wie stand dann im Zeichen historischer Denkmäler.

Der Besuch der Gedenkstätte in Jasenovac am Standort eines ehemaligen Konzentrationslagers aus dem Zweiten Weltkrieg in Kroatien war hoch emotional. Das Lager hat wegen seiner extremen Grausamkeit traurige Berühmtheit erlangt. Unsere letzte Station Sarajevo entpuppte sich für die Teilnehmenden als kultureller Schmelztiegel. Die Stadt ist aufgrund ihrer Bedeutung im Ersten Weltkrieg und im Bosnienkrieg eine ergiebige Quelle für das Projekt. In Sarajevo konnten die Teilnehmenden anhand von 2 Methoden ihre Emotionen in einer geschichtsträchtigen Stadt zum Ausdruck bringen. Mit dem „Bildertheater” vermittelten sie Emotionen ohne Worte, die „Lebendige Bibliothek“ ermöglichte Begegnungen zwischen den Teilnehmenden und Zeitzeug:innen. Auch die Lebensgeschichte einiger Teilnehmenden war mit den Kriegen des 20. und 21. Jahrhunderts verknüpft.

Wir präsentieren in dieser Toolbox die Methoden so, wie sie die Teams in den Jugendbegegnungen angewendet haben. Einige Methoden sind bekannt und werden seit langem in der Jugendarbeit eingesetzt. Über Jahre hinweg haben pädagogische Teams und junge Menschen sie entwickelt. In dieser Toolbox stellen die Autor:innen ihre Interpretation und die Verwendung der Methoden in diesem spezifischen Kontext vor.

Methoden-Toolbox

 

Die Autor:innen

Morgane Quatremarre Bonnel ist Trainerin und Teamerin für internationale Jugendprojekte. Sie arbeitet freiberuflich für verschiedene Jugendorganisationen in Frankreich und in Deutschland, wo sie auch lebt.

Anna Kauert arbeitet seit über 10 Jahren als interkulturelle Trainerin und Mediatorin. Sie hat sich auf Seminare mit Schwerpunkt Teamarbeit, Kommunikation und Konfliktlösung spezialisiert. Anna bereitet internationale Projekte vor und bietet Unterstützung für multikulturelle Kontexte auf Deutsch, Englisch und Französisch an.

Anne Favre hat als Bildungsberaterin für die Fédération Léo Lagrange in Frankreich gearbeitet. Derzeit ist sie als freiberufliche Dolmetscherin und interkulturelle Trainerin tätig. Seit 16 Jahren arbeitet sie im Bereich der internationalen Jugendarbeit. Anne hat an zahlreichen deutsch-französischen, trilateralen und europäischen Seminaren, Trainingskursen und Austauschprogrammen teilgenommen. Ihre Hauptgebiete sind interkulturelles Lernen, politische Bildung, Geschichte und Erinnerungsarbeit.

Dr. Nicolas Moll ist Historiker und freiberuflicher Trainer für interkulturelle Zusammenarbeit und Vergangenheitsbewältigung. Er lebt in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina.

Milica Pralica ist Bürgeraktivistin, Feministin, Journalistin und Vorsitzende des Verbands Oštra Nula. Sie lebt und arbeitet in Banja Luka, Republika Srpska, Bosnien und Herzegowina.

Ida Karahasanovic-Avdibegovic unterrichtet Englisch und Schauspiel. Sie ist außerdem Executive Director und Bühnenautorin. Ida arbeitet für die Nichtregierungsorganisation ReACT und am Gymnasium Druga Gimnazija in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina.

Anja Krsmanović ist Lehrerin am Gymnasium JU SŠC „Vasilije Ostroški“ in Sokolac, Bosnien und Herzegowina.

Anastasiia Rychkova ist Trainerin und Moderatorin für internationale Jugendaustauschprogramme bei der Organisation MitOst Hamburg e. V. Derzeit kümmert sie sich um die Koordination von Schulförderprogrammen in Hamburg.

Nathalie Chevalier ist Lehrerin für Französisch, Geschichte und Geografie. Sie hat mit Museen und kulturellen Einrichtungen an Projekten gearbeitet, die sich mit dem kulturellen Erbe und der künstlerischen und kulturellen Bildung befassen. Seit 2017 ist Nathalie an deutsch-französischen Programmen beteiligt. Als Historikerin und Dokumentarin ist sie spezialisiert auf Pädagogik, Geschichte und Erinnerungsarbeit.

Marie-Céline Lorin ist Geschichtslehrerin aus Grenoble, Frankreich.

Jelena Dragas ist Projektkoordinatorin beim MUNJA-Gründerzentrum für soziale Innovation in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina.

Verwendung dieser Publikation

Diese Dokumentation soll benutzerfreundlich und einfach zu handhaben sein. Sie stellt die Reise von Paris nach Sarajevo im Rahmen einer Jugendbegegnung vor und erläutert die thematischen, emotionalen und kulturellen Herausforderungen anhand einer Karte. Für jede besuchte Stadt werden die Besuche historischer Stätten und die angewandten Methoden beschrieben. Das Handbuch ist eine praktische Toolbox, aus dem die Methoden einzeln oder in Kombination ausgewählt und eingesetzt werden können, um den jeweiligen Bedürfnissen gerecht zu werden. Darüber hinaus enthalten die erkenntnisreichen Texte des Handbuchs unterschiedliche Erfahrungen aus verschiedenen Städten, um das Verständnis zu erleichtern und wertvolle Hintergrundinformationen für internationale Jugendaustauschprogramme zu liefern.

Autorinnen: Merle Schmidt (Stiftung EVZ) und Anne Schindler (DFJW)